Ist ein bisschen schwindeln schon noch ok?

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Ist es in Ordnung, beim Job-Interview nicht immer ganz die Wahrheit zu sagen? Die meisten Fachleute finden: Ja, das ist es.

Wer kennt das Gefühl nicht: Man besucht die Homepage eines Kollegen, einer Kollegin, und staunt: Was diese Person nicht alles kann! Wusste man gar nicht. Ob das alles stimmt?
Ähnliche Gefühle machen sich breit, wenn man Stellenausschreibungen liest: Fünf Fremdsprachen, drei Weiterbildungen, Alter bitte unter 30, aber mit mindestens 10 Jahren Erfahrung in einer ähnlichen Position, dazu selbstständig, Team-Player, Can-do-Mentalität, empathisch, ehrgeizig, lernwillig und sehr erfahren… Gesucht wird heutzutage oft die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau.

Darf man nun, um in der Metaphorik zu bleiben, als gute alte Sau behaupten, man könne Eier legen, lasse sich bereitwillig täglich melken und jedes Jahr einmal scheren? Die Motivation ist klar: Man will nicht nur den Job. Man weiss auch, dass sich viele andere Sauen als eierlegend, Milch gebend und Wolle produzierend anbieten. Wer da völlig ehrlich ist, hat oft schlechtere Karten.

Die digitale Welt, in der Job-Interviews im Moment stattfinden, macht das Flunkern möglicherweise ein wenig einfacher, weil man dem Gegenüber nicht mehr so ganz direkt ins Gesicht sieht. Wer dazu neigt, bei der kleinsten Ungenauigkeit bis über beide Ohren rot anzulaufen, sollte es mit der Wahrheit auch auf Zoom und MS Teams sehr genau nehmen. Die Frage ist: Was gilt für alle anderen?

Ganz grundsätzlich: Es gibt Fragen, auf die man nicht antworten muss. Juristen sprechen vom «Notwehrrecht der Lüge», wenn zum Beispiel der momentane oder eben auch der zukünftige Arbeitgeber Fragen stellt, die zu weit gehen. Abzuwägen gilt nämlich aus juristischer Perspektive das Interesse an der Wahrheit und, als Gegenstück quasi, das Interesse am Persönlichkeitsschutz. Es gibt Fälle, in denen letzteres durchaus höher zu gewichten ist. Wem eine unzulässige Frage gestellt wird, der darf entweder die Antwort verweigern oder die Frage bewusst falsch beantworten.

Das wissen natürlich auch die HR-Profis – und bauen schon mal eine Testfrage ein, die überprüft, wie genau man es denn selbst mit dem Persönlichkeitsschutz nimmt. Die Aufforderung, drei Schwächen der ehemaligen Vorgesetzten zu nennen, ist per se nicht verboten. Reagieren sollte man auf eine solche Frage allerdings nicht damit, dass man drei Negativ-Punkte aufzählt. Man weist besser höflich auf den Persönlichkeitsschutz hin. Alternativ kann man ehrlich sagen, dass nicht alles perfekt war, aber man nicht negativ über seinen aktuellen oder ehemaligen Arbeitgeber sprechen wird. Möchte man das nicht, wäre hier ein möglicher Ausweg, statt dreier Schwächen einfach drei Stärken aufzuzählen. Die Message wird ankommen.

Wirklich unzulässige Fragen sind solche, die recht privat sind und deren Antwort keinen Einfluss auf den Job hat. So gehen den zukünftigen Arbeitgeber Familienpläne, die sexuelle Orientierung, Vorstrafen, Mitgliedschaften in Vereinen, die Religion, Erkrankungen oder auch Behinderungen nichts an. Hier gilt allerdings auch, dass man nicht alles, besonders Dinge über die man nicht reden möchte, in den CV schreibt. Denn wenn man es erwähnt, muss man auch darauf gefasst sein nach diesen Punkten gefragt zu werden. Natürlich gibt es Ausnahmen: Wer sich auf eine Stelle um Justizvollzug bewirbt, wird selbstverständlich einen Strafregisterauszug vorlegen müssen. Ein zukünftiger Pfarrer wird bereitwillig über seine Religionszugehörigkeit Auskunft geben. Und wer als Fitness-Instruktorin anfangen will, muss sich der Frage zur allgemeinen gesundheitlichen Fitness einer stellen, weil die körperliche Verfassung Bedingung für die Ausführung der Arbeit ist. Es gibt also Ermessensspielraum.

Was aber tun, wenn einem eine Frage gestellt wird, die klar zu weit geht? Der HWF-Dozent Philipp Lustenberger, der als Leiter HR Gewinnung und Betreuung der Genossenschaft Migros Luzern unzählige Vorstellungsgespräche führt, rät, nach Möglichkeit ruhig, freundlich und gelassen zu bleiben und Fehler auch anzusprechen: Was hat diese Frage mit meiner zukünftigen Position zu tun? Er gibt auch etwas zu bedenken, was in der Aufregung des Gesprächs oft vergessen geht: Es bewirbt sich zwar die oder der zukünftige Mitarbeitende. Doch gleichzeitig geht es für die Person, die sich bewirbt, auch darum, herauszufinden, ob dieser Job, diese Firma zu ihr oder zu ihm passt. Unanständige Fragen können ein Hinweis darauf sein, dass man mit diesem Vorgesetzten, mit dieser Firma lieber keine Zukunft planen möchte.

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