Der Mensch und die Krise

Was machen Menschen in einer Krisenzeit? Was machen Krisen mit Menschen? Welche Bewältigungsstrategien hat sich der Mensch im Laufe der Evolution, aber auch innerhalb seines eigenen Lebens angeeignet? Und was bedeutet das für die Arbeitswelt?

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Man kann sich fragen, was Krisen mit Menschen machen. Spannender ist vermutlich jedoch die Frage, was das Individuum mit der Krise macht. Prof. Dr. Franz J. Neyer von der Uni Jena formuliert die Antwort auf diese Frage sehr einleuchtend: Menschen, sagt er, leiden zwar in Krisen- und Katastrophenzeiten – «aber jeder bleibt der, der er ist». Aber was für ein Charaktertyp ist man denn? Einige Antworten dazu weiter unten.

Fakt ist: Wir können nicht aus unserer Haut. Aber wir können gewisse Einstellungen und Haltungen überprüfen. Die momentanen Paradebeispiele: Vor der aktuellen Krise taten sich viele Schweizerinnen und Schweizer schwer mit dem Gedanken, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen. Eine aktuelle Studie, die die FHNW und die ZHAW (*1) gemeinsam durchgeführt haben, gibt nun an, dass sich über 70% aller Befragten im Home Office extrem wohl fühlen und sich diese Arbeitsform auch für die «normale» Zukunft wünschen.

Bitte hört auf mit «Krise als Chance»!

Doch, natürlich stimmt es: Jede Krise IST eine Chance. Doch wer gerade seinen Job verloren oder Konkurs angemeldet hat, findet in diesen Satz wohl eher zynisch, denn in der Regel muss man der Chance auf die Sprünge helfen. Aber was am besten tun? Dazu muss man zuerst einmal wissen, welche Rolle man von seiner Persönlichkeitsstruktur her in einer Krise sozusagen «natürlich» spielt. Die Bertelsmann Stiftung hat 56 tiefenpsychologische Interviews geführt und anschliessend in einem Bericht (Mai 2020) fünf Typen von Menschen nach ihrem jeweiligen Umgang mit einer Krise definiert. (*2)

Sag mir, wie Du mit der Krise umgehst, und ich sag Dir, wer Du bist

Wer sind diese Menschen, die sich hinter diesen fünf Typisierungen verbergen?

Der stabile Krisenmanager, so die Autorinnen und Autoren der Bertelsmann-Studie, ist ein Mensch, der Dinge geschehen lassen kann, ohne dadurch sich selbst oder seine Werte in Frage zu stellen. Er (und natürlich auch sie) vertraut in der Regel weitgehend entweder einer Religion und/oder dem Staat. Der stabile Krisenmanager ist ausserdem ein Helfer und Geber – wenn er kann, hilft er Schwächeren und spendet Vertrauten, dass alles gut kommen wird.

Der kreative Vergemeinschafter ist, weniger positiv ausgedrückt, ein kleiner Opportunist. Er bewegt sich zwischen verschiedenen Werthaltungen, ohne anzuecken, und versteht es, sich an seiner Umgebung zu orientieren und sich schnell anzupassen. Er richtet es sich auch in einer Krisenzeit so angenehm wie möglich ein und steckt mit seinem kreativen Enthusiasmus auch andere an. Damit trägt er auch in schwierigen Zeiten zu einer gewissen Leichtigkeit bei. Er möchte möglichst easy durch die Krise kommen, auch wenn er wenig Substanzielles zu deren Bewältigung beiträgt.

Der tatkräftige Optimist möchte vor allem, dass sein privater und beruflicher Alltag weiterfunktioniert. Er möchte etwas unternehmen, um sich und seinem Umfeld den Umgang mit der Krise zu erleichtern, gibt Mut machende Parolen aus. Dies führt dazu, dass der tatkräftige Optimist gerade zu Beginn einer Krise eher dazu neigt, diese zu unterschätzen. Doch auch im fortgeschrittenen Krisenmodus hält er die Laune hoch, wirkt dabei aber manchmal angestrengt tapfer. Sein Optimismus ist nicht unerschütterlich: Dauert die Krise zu lang oder werden die Konsequenzen unübersehbar, kann er kippen.

Der besorgte Schutzsuchende ist dauernd in Sorge und hinterfragt ständig. Er probiert aus, was ihm helfen könnte, ohne dabei eine Linie zu verfolgen. In einer Krise fühlt er sich zutiefst erschüttert, wirkt aufgescheucht und ist eher pessimistisch. Allerdings informiert er sich sehr intensiv über alle möglichen (und nicht nur über seriöse) Kanäle. Der besorgte Schutzsuchende möchte sich mit anderen austauschen, was grundsätzlich gut ist und zur Sensibilisierung beitragen kann. Problematisch wird sein Verhalten aber, wenn er in wenig zielführenden Aktivismus verfällt, vielleicht Fake News glaubt. Diese aktionistische Phase kann auch nur vorübergehend sein.

Der eigenmächtige Aktivist steht entschieden für seine Haltung sein und macht so den Eindruck, die Kontrolle zu behalten. Im Krisenmodus ist der eigenmächtige Aktivist in seinem Element, er blüht richtiggehend auf. Oft glaubt er, mehr Durchblick zu haben als Politiker oder andere Entscheidungsträger. Er denkt tendenziell schwarz-weiss – und kommuniziert auch so. Lästig wird dieser Typ dann, wenn er gar kein Ohr für andere Meinungen und Haltungen mehr hat. Umgekehrt ist es durchaus möglich, dass er mit produktiver Kritik die Suche nach guten Lösungen voranbringt.

Was bedeutet das für den Berufsalltag?

Es stimmt ganz sicher: Wir sind und bleiben wir. Und natürlich erkennt sich jede und jeder ein Stück weit in einem dieser fünf Typen, inklusive problematischer und positiver Züge. Zu verstehen, wer wir selber sind und wie die Menschen in unserem Umfeld ticken, hilft gerade in kritischen Phasen und Krisenzeiten, einander besser zu verstehen. Wenn alle unter aussergewöhnlichem Stress stehen, die Zukunft ungewiss ist oder das «normale» Leben und Arbeiten plötzlich aus der Bahn geworfen wird, zeigt sich das «wahre» Ich ganz extrem. Wer die obigen Typisierungen verstanden hat, hat es leichter die Motive der anderen zu erkennen und einzusortieren. Und vielleicht gelingt es ja, die eigenen positiven Seiten eher auszuleben, die negativen ein bisschen mehr zu kontrollieren, wenn man sich ein wenig Mühe gibt. Natürlich ist niemand gleich die ganze Welt, die dann besser wird. Aber fürs direkte Umfeld eben doch ein relevanter Teil davon.

(*1) https://www.fhnw.ch/de/die-fhnw/hochschulen/hsw/media-newsroom/news/die-mehrheit-fuehlt-sich-wohl-im-homeoffice
(*2) https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/die-corona-krise-und-strategien-der-bewaeltigung-all

 

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